Unse­re Emo­tio­nen und unser Beschützer-Ich

Unse­re tief inne­woh­nen­den Emo­tio­nen sind unser Poten­ti­al, unse­re ursprüng­li­che Kraft, mit der wir uns durch unser Leben leben könn­ten, wären wir als Kind emo­tio­nal gesund genährt wor­den und hät­ten uns unse­re Eltern/Erzieher so gefühlt, wie wir uns fühl­ten, wäh­rend wir uns fühl­ten.  Unse­re See­le ist von sich aus aus­ge­stat­tet mit Emo­tio­nen wie Ver­letz­lich­keit, Offen­her­zig­keit, Mut, Ver­trau­en, Pas­si­on, Mani­fes­ta­ti­ons­fä­hig­keit, Refle­xi­ons­fä­hig­keit, Risi­ko­be­reit­schaft, Selbst­an­nah­me, Unschuld, wah­rer Selbst­wert.

Lei­der muss­ten wir alle als kleins­tes Wesen schon unse­re ursprüng­li­chen Emo­tio­nen, das heißt unser emo­tio­na­les selbst­ver­ständ­li­ches Sein, mehr und mehr ver­ber­gen und ver­leug­nen, um so viel wie mög­lich Aner­ken­nung und so wenig wie mög­lich Ableh­nung von unse­ren Eltern/Erziehungsberechtigten zu bekom­men.

Unse­re ursprüng­li­chen Emo­tio­nen sind nicht tot. Sie leben tief in uns wei­ter als Tei­le, Sub­per­so­nas, inne­re Aspek­te, wie immer man sie auch nen­nen mag, immer noch so, wie sie sich damals gefühlt haben, wäh­rend sie sich fühl­ten. Sie zei­gen sich in allen mög­li­chen Situa­tio­nen, oft­mals der­art, dass wir ins Schleu­dern kom­men, davon geflu­tet sind und wir sie als unan­ge­nehm und nega­tiv emp­fin­den, weil wir sie mit unse­rem Ver­stand nicht beherr­schen kön­nen.

Wenn wir in die Welt kom­men, sind wir 100% Gefühl, voll­kom­men in Lie­be. Wir erle­ben die Welt mit unse­ren Sin­nen. Wir haben kei­ne Gedan­ken, wir neh­men unse­ren Kör­per nicht bewusst als Kör­per war, wir sind Gefühl. Wären wir so von unse­ren emo­tio­nal gesun­den Eltern emp­fan­gen wor­den und hät­ten wir bei ihnen lan­den kön­nen, wür­den wir kei­ne emo­tio­na­len Wun­den und Nar­ben in uns haben. Wir wür­den als indi­vi­du­el­les Selbst mit Ver­trau­en, Mut, Selbst­an­nah­me usw., wie oben geschrie­ben, im Leben sein.

Im Fol­gen­den beschrei­be ich, was dazu geführt hat, wie die ein­zel­nen Emo­tio­nen Schmerz, Angst, Wut, Kon­trol­le, Scham, Depres­si­on in unse­rer Kind­heit ent­stan­den sind, ange­lehnt an die Beschrei­bung von Stace (Dani­el Bar­ron), teil­wei­se auch mit sei­nen so tref­fen­den Wor­ten:

Da unse­re Eltern uns lei­der nicht so füh­len kön­nen, wie wir uns füh­len, wäh­rend wir uns füh­len, emp­fin­den wir Schmerz. Schmerz dar­über, bei unse­ren Eltern nicht gelan­det zu sein. Schmerz dar­über, dass sie uns nicht so füh­len, wie wir uns füh­len, wäh­rend wir uns füh­len. Wir pral­len immer wie­der an den mehr und weni­ger ein­ge­schlos­se­nen Her­zen unse­rer Eltern ab. Wir füh­len uns nicht gefühlt, und das tut weh. Die­ses Gefühl wird uns unser gan­zes Leben hin­durch beglei­ten, mehr und weni­ger in unse­rem Bewusst­sein. Es ist ver­ständ­lich, dass unse­re Eltern gar nicht in der Lage waren, uns emo­tio­nal zu emp­fan­gen und zu näh­ren, sie haben es als Kind ja auch nicht erlebt und deren Eltern und Groß­el­tern usw. auch nicht.  Auch sie muss­ten ein Beschüt­zer-Ich als eige­nen Schutz auf­bau­en, um durchs Leben zu kom­men.

Wir hun­gern immer und immer nach dem Gefühl, uns so gefühlt zu füh­len, wie wir uns füh­len, wäh­rend wir uns füh­len. Da wir das nicht bekom­men und somit emo­tio­nal nicht genährt wer­den, sucht unser Beschüt­zer-Ich als Ersatz dafür Aner­ken­nung, Beach­tung, Wert­schät­zung, Erfolg, Glück usw. im Außen, in Bezie­hun­gen, im Job, in Reli­gi­on, in Medi­ta­ti­on, in Ener­gie­ar­beit, Dro­gen, sozia­len Netz­wer­ken …

Wenn wir mit unse­rem Schmerz nicht bei unse­ren Eltern lan­den kön­nen, ent­steht Angst. Angst ist die Befürch­tung, dass es in Zukunft wie­der zu Schmerz kom­men kann. Sie ent­steht, weil der Schmerz über den Man­gel an Ver­bun­den­heit so oft auf­tritt, dass wir die­sen bereits das nächs­te Mal erwarten.

Wut kommt dann im Alter von ca. 2 und auch schon vor­her. Sie ist der unver­meid­ba­re Aus­druck von unver­dau­tem Schmerz und Angst. Für Kin­der bedeu­tet Wut, mit all ihrer Kraft tie­fen Schmerz und tie­fe Angst aus­zu­drü­cken. Und auch damit lan­den sie nicht so bei ihren Eltern, wie sie es bräuch­ten, um sich in ihrer Wut so gefühlt zu füh­len, wie sie sich gera­de dar­in füh­len. Sie pral­len wie­der­um mehr und weni­ger ab.

Nach all dem müs­sen wir unse­re Bedürf­nis­se mit Hil­fe der Kon­trol­le erfül­len. Kon­trol­le ist die stra­te­gi­sche Grund­la­ge in uns, mit der wir Bestä­ti­gung und Lie­be von den Eltern ver­su­chen zu ver­stär­ken und Ableh­nung und Stra­fe zu ver­rin­gern. Die Kon­trol­le stellt den Samen an der Wur­zel unse­rer inne­ren Ver­tei­di­gung, unse­rem Beschüt­zer-Ich, dar. Sie wird zu einem unbe­wuss­ten Motiv, das all unse­re Hand­lun­gen und Reak­tio­nen im Leben beein­flusst und uns glau­ben macht, sie sei ein natür­li­cher Bestand­teil unse­res Lebens bis hin zu dem Zustand, dass Kon­trol­le unser Ich-sein aus­macht. Unse­re Eltern kön­nen uns lei­der auch hier­in nicht füh­len, wie weit wir uns schon emo­tio­nal unge­sund ange­passt haben. Im Gegen­teil. Wir wer­den gelobt, wenn wir „brav“ sind, wenn wir uns dem Ver­hal­tens­ko­dex der Fami­lie ent­spre­chend bewe­gen, wenn wir Leis­tung brin­gen, uns unter­ord­nen usw.

Depres­si­on kommt dann in etwa in der Zeit der Puber­tät. Wir füh­len, mehr und weni­ger bewusst, wie unse­re Bezie­hung mit uns selbst und mit dem Leben uns kei­ne aus dem Her­zen kom­men­de Ver­bin­dung mit ande­ren erlaubt, da ja eine kon­trol­lier­te stra­te­gi­sche Ver­si­on unse­res Selbst, unse­re inne­re Ver­tei­di­gung, unser soge­nann­tes Beschüt­zer-Ich, mit uns selbst und mit Ande­ren in Kon­takt geht. Die damit auf­stei­gen­den Gefüh­le der Ent­frem­dung und des Schmer­zes bil­den die Grund­la­ge für die Depres­si­on.

Wenn Schmerz zu Angst anwächst und sich dann als Wut aus­drückt, und wenn die Unter­drü­ckung die­ser Gefüh­le durch die Kon­trol­le unwei­ger­lich zur Depres­si­on führt, taucht die Emo­ti­on Scham mit ihrer eige­nen Ener­gie des Lei­dens auf. Scham kann auch direkt in der frü­he­ren Kind­heit her­auf­be­schwo­ren wer­den durch eine Unzahl von Miss­brauchs­er­leb­nis­sen, die die Selbst­ein­schät­zung (Eigen­lie­be) des Kin­des immer mehr zer­set­zen.

Wir muss­ten uns immer mehr anpas­sen und alles dafür tun, unse­re tie­fer­lie­gen­den Emo­tio­nen zu schüt­zen, zu ver­ber­gen und nicht zu füh­len, geschwei­ge denn, sie auf­stei­gen zu las­sen und sie zu zei­gen. Viel zu bedroh­lich, wenn nie­mand da ist, der sie fühlt und bei dem sie sich gebor­gen füh­len. Des­halb hat unser Beschüt­zer-Ich mehr und weni­ger die Füh­rung unse­res Lebens über­nom­men, sozu­sa­gen als Schutz für unse­re tie­fen Wun­den, in lie­be­vol­ler Absicht. Es hat sei­ne eige­nen Dyna­mi­ken ent­wi­ckelt. In unse­rem Beschüt­zer-Ich ste­cken all die Kon­di­tio­nie­run­gen, all die Wahr­hei­ten und Glau­bens­sät­ze aus unse­rer Kind­heit und der Umge­bung, in der wie groß­ge­wor­den sind.

Die­se Dyna­mi­ken zu erfor­schen, zu hin­ter­fra­gen, sich selbst zu fra­gen „Wer bin ich? Was will ich? Wer in mir will was?“, unter­stützt und mit Hil­fe von Men­schen, die durch ihre eige­nen Erfor­schun­gen und Pro­zes­se ein Gespür für emo­tio­na­le Gesund­heit haben, ist ein Weg, wie wir unse­rem inne­woh­nen­den emo­tio­nal gesun­den Ich hel­fen und näher­kom­men kön­nen und es ent-wickeln kön­nen, hin zu unse­ren tiefs­ten, bis dahin noch ver­bor­ge­nen, Emo­tio­nen, so dass die­se sich end­lich end­lich zei­gen und sich gefühlt füh­len kön­nen, Schritt für Schritt, in Ver­trau­en, Respekt und in Liebe.